Klima: Wie Unternehmen aus dem Wandel Wettbewerbsvorteile machen
Spätestens seit den weltweiten Demonstrationen Ende September ist klar: Die Gesellschaft ist beim Thema Klimaschutz in Bewegung geraten
Der Begriff „Purpose“ und Diskussionen über den Sinn unternehmerischen Handelns halten Einzug in deutschen Vorstandsetagen. Nachhaltigkeit in Form von Klimaschutz, Ressourcenschonung, fairen Arbeitsbedingungen oder Korruptionsbekämpfung sind derart sinnstiftende Ziele. Geben heute 9 Prozent der knapp 300 von Bain befragten Unternehmen an, ernsthafte Anstrengungen hin zu einem nachhaltigen Geschäftsmodell zu verfolgen, werden es in fünf Jahren bereits 26 Prozent sein. Rund 90 Prozent sagen zudem, sie müssten ihr Kerngeschäft anpassen, um nachhaltig zu wirtschaften. Und 38 Prozent ist bewusst, dass sie das Kerngeschäft ihres Unternehmens radikal verändern müssen, um Teil eines nachhaltigen Wirtschaftssystems zu sein. Viele Firmen befinden sich erst am Anfang ihrer Reise, an deren Ende ein neuartiges Wirtschaften stehen wird. Greenwashing war gestern. Morgen wird Nachhaltigkeit zentrale Priorität auf jeder Vorstandsagenda haben.
Die Verwendung entsprechender Materialien, Energieeinsparungen und die Ernennung von Managern, die für Nachhaltigkeit verantwortlich zeichnen, ist in modern geführten Unternehmen ebenso State of the Art wie ambitionierte grüne Ziele als Teil von Unternehmensvision und Markenbotschaft, die Zusammenarbeit mit NGOs und der Einsatz nachhaltiger Technologien. Im nächsten Schritt gilt es völlig neue Sicht- und Handlungsweisen zu erlernen.
Future-Back-Denken verinnerlichen
Der Siegeszug des iPhone oder einst die Einführung des Betriebssystems MS-DOS – im Rückspiegel erscheinen diese Entwicklungen logisch. Als Lernkurve ergibt sich daraus das sogenannte Future-Back-Denken. Dieser Managementansatz führt ein großes Ziel vor Augen, und stellt die Frage, was dafür zu tun ist. Will ein Unternehmen also in fünf Jahren ein nachhaltiges Geschäftsmodell etablieren, setzt dies eine klare Vorstellung vom Zielzustand voraus. Der Future-Back-Ansatz setzt enorme transformatorische Kräfte frei und kann eine ganze Organisation mitreißen. Tesla beispielsweise ist von einer Mission getrieben, allen aktuellen Schwierigkeiten zum Trotz. Ohne diese intrinsische Motivation wäre die Firma sicher nicht zum Schrecken der weltweiten Premiumautobauer geworden.
Viele Unternehmen setzen vor allem aus Reputationsgründen auf nachhaltige Verfahren und Produkte. Niemand möchte als Umweltsünder am Pranger stehen. Wenn sich mit nachhaltigen Konzepten Kosten senken lassen, unterstützt das Management die Bemühungen auch gerne. Doch das ist zu kurz gesprungen. Das größte Hindernis für mehr nachhaltige Güter ist der Kunde, der dafür keinen höheren Preis bezahlen möchte. Neue Produkte müssen sich nicht nur durch Nachhaltigkeit auszeichnen, sondern gleichzeitig auch höchst attraktiv, günstig und innovativ sein – und somit für den Kunden unwiderstehlich und alternativlos. Das Kaltwasserwaschmittel von Procter & Gamble ist ein solches Produkt. Es hat den Energieverbrauch beim Waschen um 90 Prozent verringert. Adidas wiederum hat einen Sportschuh über eine Million Mal verkauft, der aus im Ozean gesammeltem Plastik hergestellt wird. Nachhaltigkeit als einziges Produktversprechen reicht jedoch nicht. Banken sind dabei, Finanzprodukte zu entwickeln, die Rendite mit Umwelt- und sozialen Zielen verknüpfen.
Systemwechsel durch Partnerschaften forcieren
Kein Unternehmen verändert die Welt allein. Es hilft wenig, wenn ein Kaufhaus seine Mitarbeiter gut behandelt und Abfälle vorbildlich entsorgt, doch die verkauften Produkte von Kindern in Asien hergestellt werden. Interaktionen in der Wirtschaft verlaufen nicht mehr linear, sondern in weitverzweigten Netzwerken, die Wertschöpfungsprozesse definieren. Daraus ergeben sich Verantwortlichkeiten, die nicht vor der Haustür enden. Um unternehmerische Ökosysteme rundzuerneuern, sind andere Kooperationsformen nötig. Partner, aber auch Kunden müssen eingebunden werden. Rund 64 Prozent der Manager halten diesen Wandel für sehr wichtig, nicht zuletzt, um in Zukunft noch Skaleneffekte zu erzielen. Auch die Zusammenarbeit mit NGOs, Regulierungsbehörden, Gesetzgebern und Wettbewerbern wird deshalb immer wichtiger.
Technologie ist für den Wandel der entscheidende Hebel. Apple setzt Roboter ein, um das iPhone zu recyceln. Google reduziert mithilfe von künstlicher Intelligenz den Energieverbrauch bei der Kühlung seiner Datenzentren um 40 Prozent. Deutsche Kraftwerksbetreiber produzieren heute grünen Strom. Logistiker nutzen Pedelecs für die Innenstadtbelieferung. Elektro-, Wasserstoff- und Hybridantriebe werden Benzin- und Dieselmotoren ersetzen. Start-ups entwickeln veganen Fleischersatz. Fabrikbeleuchtung wird auf LED-Licht umgerüstet. Sehr viele Unternehmen arbeiten daran, ihren Kohlendioxidausstoß drastisch zu reduzieren und CO2-neutral zu werden. Alles hängt von Zukunftstechnologien ab, deren Entwicklung noch am Anfang steht. Gewinnen werden diejenigen, die in ihrer Branche für einen Quantensprung sorgen.
Wertschöpfung und Kerngeschäft neu definieren
Vor diesem Hintergrund reicht gerade in traditionellen Branchen langsames Voranschreiten nicht. Nur mit wirklich revolutionären Schritten können Unternehmen nachhaltig werden. Vorreiter gehen deshalb bei der Erfolgsmessung über Finanzkennzahlen hinaus und beziehen ökologische sowie soziale Aspekte in ihre Investitionsentscheidungen ein. Sie suchen den Kompromiss zwischen Profitabilität und Umwelt-, Sozial- sowie Governance-Zielen. BASF misst bei jeder Investition neben dem ökonomischen auch den sozialen und ökologischen Nutzen. Die ING knüpfte beim Elektronikkonzern Philips den Zinssatz für einen Milliardenkredit an die Erreichung von Umwelt-, Sozial- und Governance-Zielen.
Nie war der Wille in den weltweiten Führungsetagen größer, Geschäftsmodelle einer Nachhaltigkeitsprüfung zu unterziehen und daraus ernsthafte Konsequenzen abzuleiten. Eine Wende hin zu nachhaltigem Wirtschaften ist vor diesem Hintergrund keine Fiktion mehr.